Eine Antwort auf Niall Ferguson
In der NZZ erschien in diesen Tagen der Artikel eines britischen Forschers Niall Ferguson (Erstabdruck war in der “Sunday Times”). Ferguson, laut Wikipedia “Spezialist für Finanz- und Wirtschafts- und europäische Geschichte sowie für die Familiengeschichte der Rothschilds” äußert sich dazu, wo Greta Thunberg und die Klimajugend seiner Ansicht nach falsch liegen. Den Artikel findet man hier.
Und (m)eine Antwort dazu hier:
“Es gibt zahlreiche rhetorische Tricks im Text von Niall Ferguson, die es schwer machen, ihn einigermaßen gelassen bis zum Ende zu lesen. Seine persönliche Zukunftsvision, auf die der Text hinausläuft, mag manche beruhigen: Im Jahr 2059 werde Greta Thunberg blamiert sein, all die Warnungen all der Klima-Wissenschaftler werden auf wundersame Weise nicht eingetroffen sein.
“Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“, behauptete Walter Ulbricht im Jahr 1961. Kaum zwei Monate später war sein legendärer Satz bereits widerlegt. Die Klimakrise ist langwieriger, abstrakter – und ungleich schwerer zu begreifen.
Doch Niall Ferguson bleibt optimistisch: gemeinsam mit dem dänischen Ökonom Björn Lomborg ist er der Ansicht, „dass wir Menschen fähig seien, uns auf eine Weise an den Klimawandel anzupassen, die dessen nachteilige Auswirkungen erheblich abmildern könne.“
Good news. Bloß ist eine derartige Anpassung leider seit Jahrzehnten nicht in Sicht. Die Liste der – folgenlosen – Klimakonferenzen seit 1979 ist lang. Vierzig Jahre möglicher Anpassung, unwiederbringlich verloren wie Gletscher in Alaska und Patagonien, am Nordpol und in den Alpen.
„Nachteilige Auswirkungen“? Die spüren vor allem die Verlierer der Klimakrise. Und das sind nicht nur Flüchtlinge aus Ländern, in denen zunehmende Dürre und Hungerkatastrophen zur Verschärfung von Kriegsgeschehen beitragen. Es sind auch australische Bauern. Ältere Menschen in den Städten. Küstenbewohner überall auf der Welt. Arbeiter in verseuchten Lebensräumen. Jetzt. Nicht erst 2059. In welcher Welt lebt Ferguson? Offensichtlich in einer, in der man sich von alledem gut abschirmen kann. Und Zeit hat, sich mit Beispielen aus dem 15. Jahrhundert zu beschäftigen, wo Kinder in Peru als Opfer dargebracht wurden, um die Götter zu besänftigen. Bloß: Was will er uns damit sagen?
Warum beschäftigen ihn nicht die Menschen, und ja, auch die Kinder, die wir heute opfern? Vor vier Jahren hat uns das Bild des toten Alan Kurdi noch berührt: ein Kinderkörper im Meeressaum, ein Kind in rotem Shirt und kurzen blauen Hosen, das Gesicht im Wasser, die Hände zum Himmel verdreht. Und jetzt? Wie lange müssen Flüchtlinge vor unseren Küsten in Rettungsschiffen ausharren? Was für ein beschämendes Schauspiel. Was für ein Verlust von Humanität.
Der wohl geschickteste – und sich derzeit verbreitende – rhetorische Kniff von Ferguson ist es, zu spalten. Das Thema der globalen Zerstörung wird gespalten in Fragen der Armut und der Klimaentwicklung. Auch da taugt ihm die Ansicht von Lomborg: „dass jedes Jahr bei weitem mehr Menschen aufgrund von Armut sterben als infolge der globalen Erwärmung.“ Ist das so? Ist das in irgendeiner Form belegt?
Leiden Klimaflüchtlinge weltweit an Armut oder an den Folgen der Klimakrise (zu der ja nicht nur die Erwärmung, sondern auch verschiedenste Naturkatastrophen gehören, die hier offenbar gar nicht zählen)? Das globale Problem der Klima-Apartheit scheint man so verleugnen zu können. Zu behaupten, dass „ein CO 2 -Emissionsziel“ dazu führe, dass „dadurch Millionen in Armut gefangen bleiben, ganz zu schweigen von Unwissen und schlechter Gesundheit“ – das ist nicht nur falsch, es ist geradezu perfide, die Verlierer der Klimakrise und die Verlierer globaler Machtinteressen gegeneinander auszuspielen.
Die Gewinner werden somit erst gar nicht thematisiert.
„Unsere Zivilisation wird für die Chance einiger weniger geopfert, weiterhin extrem viel Geld zu verdienen. Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Menschen – wie in meinem Land – ein Luxusleben führen können. Es ist das Leiden vieler, das für den Luxus einiger weniger zahlt.“
Greta Thunberg auf der COP24-Konferenz in Katowice
Zweiter Kniff (die offenbar gängige Strategie derzeit): Greta Thunberg, die Überbringerin der schlechten Nachrichten zu diskreditieren – als ob damit ihre Aussagen weniger wahr seien. I want you to panic – auf diesen Satz kann man sich stürzen. Das ist einfacher, als sich mit der langen Liste dessen zu befassen, was bereits zerstört worden ist. Es ist einfacher, Greta Thunberg als „Schulschwänzerin“ und „Anführerin eines Endzeitkultes“ zu verhöhnen. Oder zu erwähnen, man könne sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ja nicht kritisieren – was damit natürlich genau geschehen ist.
All das ist einfacher, als die mühsam beherrschte Trauer, die Angst und den Schmerz an sich heranzulassen, mit der Greta Thunberg im April 2019 vor dem EU-Parlament gesprochen hat – aber das gehört schon zum dritten Kniff: Ihre Aussagen zu reduzieren und damit zu verfälschen. Hier das ganze Zitat: „Eine große Anzahl von Politikern hat mir gesagt, dass Panik niemals zu etwas Gutem führe. Und ich stimme zu. Unnötig in Panik zu geraten, wäre schrecklich. Aber wenn Ihr Haus in Flammen steht und Sie möchten, dass es nicht niederbrennt, ist ein gewisses Maß an Panik erforderlich.“
In dieser Rede kämpft Greta Thunberg (deren Blick Ferguson sonst als „starr“ empfindet, was ihn „entnervt“) mit den Tränen. „Täglich sterben bis zu 200 Arten aus. Fruchtbarer Boden erodiert. Unsere großen Wälder werden abgeholzt. Die Luft ist toxisch verseucht. Die Ozeane versauern. Dies alles sind katastrophale Trends, die durch unsere Lebensweise beschleunigt werden. Und wir, im finanziell bevorzugten Teil der Welt, fühlen uns berechtigt, einfach so weiterzumachen.“
Doch Herr Ferguson fühlt sich bemüßigt, sie – und die gesamte junge Generation – zu„beschwichtigen“. Wie wäre es, ernsthaft für eine lebenswerte Zukunft zu sorgen, statt einfach nur zu „beschwichtigen“?
Stattdessen glänzt er mit absurden Zukunftsszenarien: „Man wird die Konten der Ölkonzerne als Opfer darbringen“ Tatsächlich?
Auf perspective daily schreibt Chris Vielhaus:
„Allein die Koch-Brüder haben in den letzten 20 Jahren 127 Millionen Dollar in bis zu 92 Organisationen gepumpt, die sich gegen Lösungen für die Klimakrise engagieren. Vergleicht man die 20 Millionen Dollar, die die 7 reichsten Länder der Welt zur Rettung des brennenden Amazonas-Regenwaldes gemeinsam bereitgestellt haben, mag man einen Eindruck davon kriegen, wie die Prioritäten in der politischen Weltordnung aktuell noch verteilt sind.“
Aber Niall Fergusons größte Angst ist, wir könnten „Extreme Vorsorge“ betreiben? Seine Sorgen möchte ich haben.
Noch einmal Chris Vielhaus: „Den höchsten Preis zahlen indes wir alle. Ungerechterweise vor allem diejenigen Millionen Armen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, am meisten von ihr betroffen sind und Heimat sowie Lebensgrundlage verlieren. Und das, während diejenigen wenigen Multimilliardäre, die durch die Ausbeutung von Menschen und Umwelt am meisten profitieren, sich mithilfe ihres Reichtums am bequemsten von den Folgen ihres Tuns abschirmen können.“
Liebe Kinder, vielleicht hat wirklich niemand die Absicht, Eure Zukunft mutwillig zu zerstören. Es geschieht aber.
Und zum Glück – für uns alle – lasst Ihr Euch nicht mehr beschwichtigen.