Im August 2019 sprach Stephen Sackur in der Reihe „BBC hard talk” mit Roger Hallam. Nur drei Monate später, im November 2019, ist Hallam aufgrund seiner äußerst problematischen Äußerungen zum Holocaust zur “persona non grata” geworden. Diesen Prozess zu analysieren, wäre eine ganz eigene, sicher lohnende Analyse wert.
Hier soll es jedoch nicht um Hallam persönlich gehen, sondern um die Dynamik eines Gespräches, in dem der XR-Mitbegründer die schlimmstmöglichen Folgen der Klimakrise benennt – und wie die Reaktion von Stephen Sackur darauf ist, die man auch als eine Form der Abwehr begreifen kann: Obwohl Sackur einerseits an keiner Stelle Hallams Analyse und die möglichen Szenarien der Klimakrise anzweifelt, bleibt er innerlich distanziert. Er fokussiert sich auf die Maßnahmen, die XR ergreifen will. Diese seien extrem. Ihn interessiert im Verlauf des Gespräches vor allem: Wie weit werden die XR-Rebellen gehen?
Hier ein (gekürzter) Auszug aus dem 25-minütigen Gespräch. Sackur leitet es ein, indem er daran erinnert: 2015 verpflichteten sich die Vereinten Nationen, die globale Erwärmung unter 2 Grad zu halten. „So much for fine words“, ergänzt Sackur, denn: Die CO2 Emissionen steigen weiter. Die Wissenschaftler schlagen Alarm.
Dennoch geht es im Folgenden hauptsächlich darum, wie sich die „Klima-Rebellen“ dazu verhalten. Hallam selbst versucht immer, seine Rolle zu definieren als „Arzt, der lediglich die Diagnose stellt“: Die Emissionen steigen und steigen. Nach 30 Jahren des Wissens um die Klimakrise gibt es noch immer keine wirksamen Massnahmen und auch keinen erkennbaren Wandel.
Hallam will vor allem eines erreichen: Mit der Nachricht, wie schlimm die Situation und die Zukunftsperspektiven wirklich sind, durchzudringen. Wir werden in den nächsten zehn Jahren Hunger erleben, den Kollaps der sozialen Systeme und möglicherweise die Auslöschung der Menschen. Das ist das Ergebnis, die Bilanz von 30 Jahren des Versagens.
Sackur erscheint das als Botschaft zu „negativ“.
Das Interview …
St.S.: „Das ist eine Botschaft der Wut und Verzweifung?“
R. H.: „Ja. Das ist es.“
St.S.: „Und, denken Sie, dass dies eine Botschaft ist, auf die die Menschen reagieren werden?“
R. H.: „Ja. Weil diese Bewegung der Wahrheit verpflichtet ist.“
St.S.: „Ist ein Wandel realistisch? Zum Beispiel in UK „Netto-Null CO2-Emissionen bis 2025?“
Das sei, so Sackur, schlichtweg nicht möglich.
R. H.: „Natürlich ist es das.“
„Nein“, sagt Sackur, „nicht im Rahmen unserer kapitalistischen Wirtschaftswelt, ohne den Menschen unvorstellbaren Schaden zuzufügen.“
„Der unvorstellbare Schaden“, so Hallam, „entsteht durch die Krise, auf die wir zusteuern. „Business as usual“ macht keinen Sinn – und auch er wählt hier das so oft und zu Recht zitierte Bild der Krebserkrankung: Wenn man zum Arzt geht, und die Diagnose ein massiver Tumor ist – dann stelle sich die Frage nach dem „weiter so“ nicht mehr.
Sackur sagt, ein Ausstieg, also den CO2-Ausstoß bis 2025 auf Netto-Null zu reduzieren, sei „technisch, politisch und ökonomisch“ nicht möglich.
Roger Hallam antwortet, es gehe hier weder um Politik oder Ideologie, sondern nur um Physik: „Die Wissenschaft ist real. Die sozialen Systeme werden kollabieren. Weil Hungersnöte kommen. Und diese kommen, weil das Klima kollabieren wird.“
Stephen Sackur hält die Vorschläge, bzw. was das konkret bedeute – nicht mehr zu fliegen, nicht mehr Auto zu fahren, nicht mehr zu heizen – für phantastisch.
Doch Roger Hallam bleibt dabei: „Innerhalb der nächsten 10 jahre brauchen wir einen fundamentalen Wandel.“
Stephen Sackur: „Wollen Sie das kapitalistische System, so wie wir es kennen, zum Einsturz bringen?“
Roger Hallam: „Das kapitalistische System wird sich selbst zum Einsturz bringen. Das globale System ist dabei, sich selbst zu zerstören, Weil es das Klima zerstört. Und dadurch die Lebensmittelproduktion zerstört. Was zu Hungersnöten und sozialem Kollaps führen wird. – Die Menschen begreifen das, im Gegensatz zu den Medien, sehr gut.“
St.S.: „Ich habe es verstanden, der Notfall ist da, hier und jetzt …“
R.H.: „Nein ich glaube, Sie haben es nicht verstanden.“
St.S.: „Sind Sie ein Revolutionär?“
R.H.: „Die Revolution kommt so oder so. Sie versuchen zwar, zu sagen, dass alles okay ist und es nur ein paar revolutionäre Menschen gibt – und wenn diese das System nicht stören würden, könnte alles weitergehen wie bisher. Aber Tatsache ist: Wenn wir die Dinge nicht ändern, wird es zehnmal schlimmer werden. Das sind die zwei Optionen, die wir haben.
Deshalb spreche ich in der Analogie des Arztes, der die Diagnose stellt. Würden Sie den Arzt als Revolutionär bezeichen? Der Arzt sagt Ihnen nur die Diagnose: Wenn wir nichts ändern, werden wir einen sozialen Kollaps erleben.“
St.S.: „Wissenschaft ist etwas anderes als die Politik. Manche sehen Extinction Rebellion in der Nähe zu gefährlichen Terrororganisationen.Wie weit werden Sie gehen? Sie mobilisieren Teenager und Großmütter.“
R. H.: „Wenn Großmütter bei einem Treffen in Tränen ausbrechen, weil sie daran denken, was ihren Enkeln geschehen wird, dann ist das nichts, was ich tue oder getan habe. Genauso wenig wie im Bezug auf Teenager. Sie haben eine Sch…angst. Sie haben noch 50, 60, 70 Jahre hier. Bis dahin können 6 Milliarden Menschen ausgelöscht sein. Die konventionellen Medien haben einfach noch nicht das Ausmaß dessen kapiert, was gerade geschieht.“
St.S.: „Viele sind der Ansicht, dass Sie viel zu weit gehen …“
R. H.: „Sie haben nicht gehört, was ich gesagt habe. Das ist das grundlegende Problem.“
St.S.: „Ich höre sehr genau zu.“
R. H.: „Nein. Sie hören mich, aber Sie sind emotional nicht damit verbunden. Journalisten sind nicht emotional verbunden und involviert. Ich rede von 6 Milliarden Menschen in diesem Jahrhundert. Das sagt die Wissenschaft. Das braucht absolut drastische Maßnahmen.“ –
Leider fehlt hier im Gespräch der beiden ein Moment des Innehaltens. Ich selbst hätte Stephen Sackur an dieser Stelle gerne gefragt, was denn seine eigenen Schlussfolgerungen sind. Was er vorschlagen würde. Wie seine persönliche Betroffenheit aussieht – als Mensch, nicht als vermeintlich neutraler Interviewer.
Doch Sackur bleibt weiterhin bei der Frage, ob die Aktionen von XR gewaltfrei sind oder bleiben werden. Konkret: Ob XR den Flughafen Heathrow mittels Drohnen blockieren will?
Hier zeigt sich, wie problematisch es ist, dass Sackur sich nicht wirklich auf das gesamte Ausmaß der Klimakrise einlässt, sondern sich nur auf Hallam und XR fokussiert. Der Ausbau des Flughafens wird wahrscheinlich bis 2030 dauern, 700 Flüge zusätzlich sollen dann täglich starten – und dabei muss der CO2 auch in Großbritannien bis 2050 bei Netto-Null sein. Wie soll das gehen?
Hier wäre nicht nur die Frage wichtig: Wie weit wird Extinction Rebellion gehen? Sondern auch und vor allem: Wie weit werden die Regierungen gehen?
Hallam antwortet, er wolle nicht über dieses Einzelbeispiel reden, sondern darüber, was insgesamt geschehe. Er sehe das als Soziologe: Wenn man Gesellschaften in massiven Stress setzt, wenn Menschen – Bürger – sehen, dass Regierungen sie Richtung Tod führen, dann ist mit Rebellionen zu rechnen.
(Wer Genaueres zur möglichen Blockade des Heathrow-Flughafens wissen will, findet hier einen Artikel dazu.)
St.S.: „In England ist es leicht, solchen Aktionen durchzuführen, zu demonstieren, aber in anderen Ländern und Städten – was ist mit Moskau, Beeing, Riad, dort ist keine Extinction Rebellion möglich …?“
R.H.: „Die meisten bürgerliche Aufstände sind in armen Ländern geschehen. Wenn Menschen genug haben, gibt es Massenaufstände.“
Sackur argumentiert am Beispiel Australiens, dass in vielen Ländern die kritische Masse offenbar noch nicht erreicht ist.
R.H.: „Was sich aber bald ändern wird. Es wird schnell geschehen. In der Geschichte ist das immer schnell geschehen.“ .
St.S.: „Das ist alles so negativ. Da gibt es ja keinen Raum für Hoffnung! Viele Wissenschaftler würden sich nicht so aufs Negative fokussieren. Wir machen doch Fortschritte. Wir begrenzen die Emissionen im Energiesektor – “
R.H.: „Das ist totaler Quatsch.“
Hier, das ist eindrücklich, versucht Sackur erst gar nicht, weiter mit vermeintlichen Fortschritten zu argumentieren, stattdessen fragt er:
St.S.: „Hoffnung. Was ist mit Hoffnung? Dafür scheint kein Raum zu sein?“
R.H.: „Der Arzt hat eine Verantwortung, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Ob Sie Krebs haben und ob es das Endstadium ist. Das hat nichts mit Hoffnung zu tun . Da geht es nicht um Hoffnung. Es ist eine Sache wissenschaftlicher Analysen. Ein Röntgenbild ihrer Lungen, zum Beispiel, das ist wissenschaftliche Realität. Die Arktis schmilzt. Das Eis verschwindet. Es wird warm. Das Eis ist weg. Egal, ob Sie das fürchten oder hoffnungsvoll sind oder ein Problem damit haben. Das Eis verschwindet. Es ist weg. Das ist einfach so. Wissenschaft ist nicht sentimental. Es ist auch keine Sache der Politik. Da geht es nicht um Geben und Nehmen. Das ist hart.”
Am Ende wirkt Sackur – so erscheint es mir jedenfalls – doch einen Moment lang berührt und betroffen.
… und noch ein persönlicher Nachtrag
Was mich, nachdem ich das Interview mehrfach angesehen habe, am meisten beschäftigt: Dass viele Menschen die Dringlichkeit erst gar nicht erkennen, weil sie die Fakten nicht an sich heranlassen, ist eine Sache. Dass aber ungeheuer viele Politiker darum wissen, um die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen – und dennoch weitermachen wie bisher, „sehenden Auges“ die Zerstörung weiter vorantreiben, ist erschreckend. Diese Entscheidungsträger kann man offenbar nicht mit Fakten erreichen.
Auch Sackur streitet in diesem Interview an keiner Stelle die Dramatik der Situation ab. Er geht bloß nicht darauf ein. Er bleibt an der Frage hängen, was Roger Hallam, was Extinction Rebellion weiter tun wird. Oder anders gesagt: Er bleibt in der Rolle eines vermeintlich außenstehenden Beobachters – als ob es ihn nicht persönlich betreffen würde. Was diese Haltung im Journalismus angesichts der Klimakrise bedeutet, darüber habe ich unter “journalists – for future?” geschrieben.
Hallams Analogie eines Arztes, der lediglich die Diagnose stelle, beschäftigt mich auch, weil ich vor Jahren selbst in einer onkologischen Klinik gearbeitet habe. Bis dahin dachte ich, dass Menschen, die nur noch eine begrenzte Lebenszeit zur Verfügung haben, ihr Leben ändern werden, wenn sie darum wissen. Dass sie ihre Lebenszeit anders wertschätzen, anders nutzen; sich zum Beispiel mit Mitmenschen versöhnen, noch einmal reisen, ihr Leben, wie auch immer, bewusst gestalten. Ideale Bilder, die man eben hat, bevor man mit der Realität konfrontiert wird. Manche, die ich begleitet habe, haben die Zeit so gut wie möglich genutzt. Doch es gab auch immer wieder Menschen, die genauso weitermachten wie bisher – weiter mit ihren Partnern oder Kindern stritten, unfähig waren, sich zu versöhnen, stur, verbissen, unglücklich. Menschen mit schwerem Lungenkrebs, die im Garten der Klinik standen und rauchten, immer weiter rauchten. All das bis zum bitteren Ende.
Viele Menschen wird man nicht mit Fakten erreichen können. Nicht einmal mit dem Wissen um die eigene Endlichkeit. Selbst Politiker wie Trump und andere sind ja nicht nur weisse, privilegierte, mächtige Männer. Sie sind auch alte Männer. Eigentlich müssten sie doch um ihre begrenzte Lebenszeit wissen? Und an die nächste Generation denken? Doch Machtmenschen sind meist auch Narzissten. Extreme Narzissten sind nicht fähig, emotional, flexibel und angemessen auf eine Situation zu reagieren. Sie handeln durchaus sehr strategisch, aber immer nach den gleichen Mustern, die ihnen Stabilität und vermeintliche Sicherheit geben.
Das macht den Narzissmus weltweit agierenden Politiker so gefährlich: Sie werden nicht der Situation entsprechend handeln, nicht aus Einsicht, nicht aus Mitgefühl, nicht aus Verantwortungsgefühl für die nächste Generation. Von dort wird kein Wechsel zu erwarten sein.
Noch ein Auszug aus Roger Hallams: “Common sense for the 21th century”
„I was there. For the past 20 years. Climate activism. It didn’t work.We protested in our hundreds of millions – it didn’t work.We raised billions to reach people and politicians – it didn’t work. We lobbied for subsidies for renewables – it didn’t work.We signed countless online petitions – they didn’t work. We looked to the United Nations to resolve the crisis – it didn’t work. We trusted progressive politicians and their reforms – it didn’t work. Al Gore had a big concert and a PR campaign – it didn’t work. Countless NGOs did their best – it didn’t work.
(…) I quit climate campaigning. Reform did not happen – We need a revolution.“
Anonymous climate activist