Extinction? Rebellion?
Extinction Rebellion? Die kennen, wenn ich Nachbarn und Bekannte frage, noch wenige. In den Medien finden sich kaum Berichte, obwohl XR laut Klimareporter.de im Juni 2019 mehr als 100.000 “Rebellen” in Großbritannien zählte und Ableger in 58 anderen Ländern hat, darunter in Deutschland und der Schweiz. Und die Zahl wächst weiter. In den kommenden Monaten sind so viele Aktionen geplant, dass die Bewegung sehr schnell bekannter werden wird. Und das ist auch die Voraussetzung, um die Hauptaussagen bekannter zu machen: Es geht um unser aller Überleben. Wir müssen handeln. Nicht irgendwann. Sondern jetzt. – Es ist das, was auch Klimawissenschaftler nicht müde werden, zu betonen. Bislang ohne Erfolg, ohne wirksame Maßnahmen. So dass Klimaaktivisten inzwischen sagen:
“Ich war dabei, die ganzen letzten 20 Jahre. Klima-Aktivismus. Hat nicht funktioniert. Wir protestierten, zu Hunderten von Millionen – es hat nicht funktioniert. Wir haben Milliarden gesammelt, um Menschen und Politiker zu erreichen – es hat nicht funktioniert. Wir haben uns für erneuerbare Energien eingesetzt – es hat nicht funktioniert. Wir haben unzählige Online-Petitionen unterschrieben – sie haben nicht funktioniert. Wir haben uns an die Vereinten Nationen gewandt, um die Krise zu lösen – es hat nicht funktioniert. Wir haben progressiven Politikern und ihren Reformen vertraut – es hat nicht funktioniert. Al Gore hatte ein großes Konzert und eine PR-Kampagne – es hat nicht funktioniert. Unzählige NGOs haben ihr Bestes gegeben – es hat nicht funktioniert.
(…) Ich habe aufgehört mit Klimakampagnen. Es gab keine Reform – wir brauchen eine Revolution.”Anonym, zit. von Roger Hallam in: Common Sense for the 21st century
Das Wort “Rebellion” klingt für viele bedrohlich (das wird auch weiter unten deutlich, in einem Auszug aus einem Interview, das Roger Hallam, einer der Gründer der XR-Bewegung, mit der BBC geführt hat.) Was hier gemeint ist: Gewaltfreier Widerstand. Ziviler Ungehorsam. Blockaden, die die Bevölkerung aufrütteln und Druck auf politische Entscheidungsträger ausüben sollen. Ziel ist eine partizipatorische Demokratie in Form von Bürgerversammlungen – was sich in vielen Ländern bereits bewährt hat.
Die konkreten Forderungen von XR, auch für Deutschland, finden sich weiter unten. Doch erst einmal ein kurzer Eindruck, wie es klingt, wenn jemand an einem XR-Treffen teilnimmt, ohne sich auf die Klimafakten eingelassen zu haben.
Auf Spiegel.de beschreibt der Journalist Georg Fahrion ein solches Treffen, mit einer Mischung aus (vermeintlich) gutmütigem Wohlwollen und offensichtlichem Befremden: „Die Anhänger teilen eine Endzeitvision, die Gewissheit, eine Wahrheit entdeckt zu haben und den Wunsch, andere zu missionieren. Sie haben sich sogar Rituale ausgedacht, um mit den psychischen Krisen umzugehen, die aus der ständigen Konfrontation mit der befürchteten Zerstörung des Planeten erwachsen.“ (…)
Leider scheint der Autor noch nicht realisiert zu haben, dass die „Zerstörung des Planeten“, d.h. letztlich die Zerstörung unser Lebensgrundlagen und das Aussterben der Menschheit als mögliches Szenario von niemandem mehr ernsthaft infrage gestellt wird (dazu habe ich z.B. im Beitrag zu “junk news” die australische Klimawissenschaftlerin Joëlle Gergis zitiert). Wenn man sich darauf (noch) nicht eingelassen hat, bleiben einem die “Rituale” von XR natürlich fremd.
Auch mit der Schrift von Roger Hallam hat der Spiegel-Autor sich offensichtlich nicht befasst, ihm reicht es, sie als “Traktat” abzutun, mehr erfährt man nicht darüber. Sorry, aber das halte ich für ziemlich unprofessionell, wenn man einen Artikel darüber verfasst. Und warum muss ausgerechnet die AfD zitiert werden, “Extinction Rebellion sei eine Klima-Sekte”? Auch wenn der Autor dem dann gleich selbst widerspricht – es ist wieder einmal, unnötigerweise, eine Bühne für die AfD, die sich ja nun bisher nicht gerade mit Klimawissen hervorgetan hat (ein kleiner Nachtrag zur AfD steht am Ende dieses Textes).
Der Spiegel-Reporter scheint auch nicht zu wissen, wie viele Wissenschaftler grundsätzlich hinter XR stehen. Am 26. Oktober 2018 erschien im The Guardian ein offener Brief, unterschrieben von 94 Prominenten, überwiegend britischen Wissenschaftlern:
„Die Wissenschaft ist eindeutig, die Fakten sind unumstößlich und es ist für uns unerhört, dass unsere Kinder und Kindeskinder die schreckliche Last einer beispiellosen Katastrophe tragen müssen, die wir selbst verursacht haben. […] Unsere Regierung trägt eine Mitschuld an der Missachtung des Vorsorgeprinzips und am Versagen bei der Feststellung, dass ein unendliches Wirtschaftswachstum auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht machbar ist. […] Wenn eine Regierung absichtlich ihre Verantwortung aufkündigt, ihre Bürger vor Schaden zu schützen und die Zukunft der kommenden Generationen zu sichern, hat sie ihre wichtigste Verantwortungspflicht nicht erfüllt. Der ‚Sozialvertrag‘ wurde gebrochen, und es ist daher nicht nur unser Recht, sondern unsere moralische Pflicht, die Untätigkeit und eklatante Pflichtverletzung der Regierung zu umgehen und zur Verteidigung des Lebens an sich zu rebellieren. Wir erklären daher unsere Unterstützung für die am 31. Oktober 2018 ins Leben gerufene Extinction Rebellion. Wir stehen voll hinter den Forderungen, dass die Regierung den Bürgern die harte Wahrheit sagt. Wir fordern, dass eine Bürgerversammlung mit Wissenschaftlern auf der Grundlage der vorhandenen Beweise zusammenarbeitet und im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip dringend einen glaubwürdigen Plan für eine schnelle vollständige Entkarbonisierung der Wirtschaft entwickelt.“
Wenige Wochen darauf, am 9. Dezember 2018, erschien, ebenfalls im Guardian ein zweiter offener Brief, diesmal von 100 Wissenschaftlern, Politikern und Aktivisten aus aller Welt unterzeichnet:
„Politische Führungen scheitern weltweit an der Thematisierung der Umweltkrise. Falls der weltweite Unternehmenskapitalismus die internationale Wirtschaft weiterhin antreibt, ist eine weltweite Katastrophe unausweichlich. […] Wir fordern zudem besorgte Weltbürger auf, gegen die gegenwärtige Selbstgefälligkeit in ihren jeweiligen Zusammenhängen, einschließlich der Verteidigung indigener Völker, der Entkolonialisierung und der wiedergutmachenden Gerechtigkeit, aufzustehen und sich dagegen zu organisieren – sich somit der globalen Bewegung anzuschließen, die sich nun gegen das Aussterben auflehnt (z. B. Extinction Rebellion im Vereinigten Königreich). Wir müssen gemeinsam alles tun, was gewaltlos notwendig ist, um Politiker und Wirtschaftsführer von der Aufgabe ihrer Selbstgefälligkeit und Leugnung zu überzeugen. Ihr ‚weiter so wie bisher‘ stellt keine Option mehr dar. Weltbürger werden dieses Versagen unserer planetaren Pflicht nicht länger hinnehmen. Jeder von uns, insbesondere in der materiell privilegierten Welt, muss sich zur Akzeptanz einer Notwendigkeit verpflichten, milder zu leben, deutlich weniger zu konsumieren und nicht nur die Menschenrechte, sondern auch unsere Verantwortung gegenüber dem Planeten zu achten.“
XR in Deutschland
Extinction Rebellion fordert einen generellen Wandel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, um die Klimakrise bewältigen zu können. In Deutschland wird dies durch drei Forderungen ausgedrückt:
- Die Bundesregierung soll anerkennen, dass der Klimawandel die Menschheit ernsthaft bedroht und diese Erkenntnis kommunizieren. Es darf keine Gesetze mehr geben, die den Klimaschutz behindern. Außerdem soll die Regierung uns BürgerInnen und Unternehmen mit Unterstützung der Medien konkret aufzeigen, wie wir zum Klimaschutz beitragen können.
- Bis 2025 sollen alle CO2-Emissionen auf Netto-Null begrenzt werden – das bedeutet, dass nur so viele Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, wie im Gegenzug in irgendeiner Weise gespeichert werden.
- Die Regierung soll Bürgerversammlungen einberufen, die ausarbeiten, wie die Klimaschutz-Ziele erreicht werden können. Eine solche Bürgerversammlung soll aus per Los bestimmten BürgerInnen bestehen und möglichst gut die verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft repräsentieren. Sie soll nicht nur Maßnahmen ausarbeiten, sondern auch dafür sorgen, dass diese umgesetzt werden.
Ein Artikel zu den Forderungen von XR findet sich auch bei Klimareporter.de. Die Autorin, Susanne Schwarz, zitiert darin das Ergebnis einer Studie des New Climate Institute in Köln: Die Bundesrepublik muss 2030 klimaneutral sein, wenn sie ihren fairen Anteil zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels sicher beitragen will. “Je nachdem, wie man die hohen Emissionen in der Vergangenheit gewichtet, also Deutschlands “historische Schuld” am Klimawandel, könne das Ergebnis aber auch lauten, dass das deutsche Budget an Treibhausgasen jetzt schon aufgebraucht ist.”
Leitautor der Studie des New Climate Institute Niklas Höhne findet die Herangehensweise von Extinction Rebellion legitim. “Sie ermöglicht eine andere Perspektive”, sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit Klimareporter. “Wir bezeichnen Dinge häufig als ‘nicht machbar’ – meinen aber eigentlich, dass sie einen größeren Schaden mit sich bringen, als wir ihn für nötig und deshalb gerechtfertigt halten.” Höhne nennt als Beispiel den Kohleausstieg:
“Die Hälfte der Kohlekraftwerke sofort abzuschalten, wäre technisch möglich und würde wohl nicht mal zu Einschränkungen beim Konsum führen – aber wir sprechen davon, dass das nicht machbar sei, weil das eben bestimmten Konzernen oder auch Regionen sehr schaden würde.”
Niklas Höhne, New Climate Institute Köln
NACHTRAG zur AfD:
Die AfD formulierte eine sogenannte “Kleine Anfrage” an die Bundesregierung, warum im politischen Selbstverständnis davon ausgegangen werde, dass der Klimawandel laut 97% aller Studien menschengemacht sei. Die Bundesregierung antwortete darauf tatsächlich mit einer Korrektur bzw. Aktualisierung der Angabe: Davon, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird gehen 99 % der Klimawissenschaftler aus.
Roger Hallam im BBC Interview – hard talk
Im August sprach Stephen Sucker in der Reihe “BBC hard talk mit Roger Hallam”. Hier geht es zum Interview. Für diejenigen, die nicht perfekt Englisch können, oder sich erst einmal einen Überblick verschaffen wollen, hier ein (gekürzter) Auszug aus dem 25-minütigen Gespräch auf Deutsch.