Organisierte Unverantwortlichkeit …
Als Experten des Klimawandels galten bislang ausschließlich die Wissenschaftler, dementsprechend haben wir lange geglaubt, dass nur von dort – durch neue Technologien – Lösungen kommen können. Und dass Umweltverbände und andere schon genügend Druck machen werden. Dass die richtigen Politiker dann die richtigen Entscheidungen treffen werden. Dabei haben wir mehr und mehr Zeit verloren. Nun brauchen wir wohl das Engagement jedes Einzelnen.
Warum wir jetzt alle gefragt sind, beschreiben zum Beispiel Maren Urner und Han Langeslag knapp, klar und anschaulich auf www.perspective-daily.de:
„Die letzten zwei Generationen der Menschheit haben das Klima bereits maßgeblich verändert. Jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden, damit wir unseren Kindern kein apokalyptisches Schlachtfeld hinterlassen und mit den Schultern zuckend ein »Wir haben es nicht gewusst!« flüstern.
Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn wir schon gestern aufgehört hätten, CO2 und andere Treibhausgase im großen Stil in die Luft zu pusten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, aber wir können es schaffen, die globale Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten. Um das Ruder in Richtung Zukunft herumzureißen, bleiben jetzt noch 3 Jahre, in denen wir die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft mit 100%iger Überzeugung einleiten müssen.”
“Psychologisch gesehen”, so die Autoren, “ist das sogar ein Vorteil, denn Fristen sind super. Auch wenn 3 Jahre verdammt wenig sind, funktionieren wir nämlich alle besser, wenn wir eine klare Frist haben – oder wann hast du das letzte Mal deine Steuererklärung, Hausarbeit oder dein Projekt zwei Monate zu früh fertiggestellt?
Im Klartext bedeutet das: Ab dem Jahr 2020 müssen wir unsere globalen CO2-Emissionen alle 10 Jahre halbieren.
Wenn wir die Frist verpassen, wird es mit der Umstellung verdammt knapp bis unmöglich, weil sich CO2 in der Atmosphäre anhäuft – die wärmende Decke wird zur dicken Schwitzdecke. Nachtschichten kommen auch jetzt schon auf uns zu – ähnlich wie bei der ersten verpassten Frist bei der Steuererklärung oder der Projektarbeit. Was passiert, wenn wir das Ganze überstrapazieren und die kommenden drei Jahre die Beine hochlegen, zeigt folgendes Bild:
Urner und Langeslag erinnern uns in ihrem Kommentar daran, dass Menschen schon ganz andere Dinge geschafft haben: “Zum Beispiel zum Mond zu fliegen. Oder den größten Teil der Menschheit innerhalb kürzester Zeit mit Mobiltelefonen auszustatten. Ging ja auch.”
In einem anderen Kommentar, im Schweizer Journal21 lese ich dagegen: „Die bislang meist vergeblich angezielten Massnahmen zur CO2-Begrenzung wirken weit unterdimensioniert. Wahrscheinlich wären viel radikalere Schritte und Einschränkungen nötig, aber die dafür erforderlichen nahezu diktatorischen Praktiken passen nicht zu Rechtsstaaten und hätten mit Sicherheit soziale Verwerfungen zur Folge. Also kann es nur bei kleinen Schritten bleiben.“
Der Autor, Stephan Wehowsky, befürchtet zwar zu Recht, das Klima könnte aufgrund von Kippeffekten schneller kollabieren als erwartet. Dennoch geht er davon aus: „dass unsere Gesellschaft zu mehr nicht in der Lage ist. Jeder Manager und Politiker handelt in seiner fein abgezirkelten Organisation, wahrt dort seine Interessen und geht den Weg, der am meisten Erfolg und den geringsten Widerstand verspricht. Der Soziologe Ulrich Beck nannte das die „organisierte Unverantwortlichkeit“. Jeder handelt so, dass er in seinem Teilsystem nach Möglichkeit optimal dasteht. Bis das ganze System kippt.“
Schade, dass Herr Wehowsky nicht sehr visionär zu sein scheint, Schade, dass er uns nicht daran erinnert: Die Gesellschaften sind zu weit mehr in der Lage. Die Menschheit hat schon ungeheure Umwälzungen erlebt. Soziale Verwerfungen wird es ohnehin aufgrund der Klimakrisen und Naturkatastrophen geben. Es wird zu grundlegenden Veränderungen kommen, so oder so. Die Frage ist nur, ob wir sie bewusst gestalten.
Vielleicht brauchen wir jetzt das Gegenteil der „organisierten Unverantwortlichkeit“? Eine unorganisierte Verantwortlichkeit?
… oder unorganisierte Verantwortlichkeit?
Das würde bedeuten, dass jede/r tut, was er kann – nicht als Teil einer Organisation, sondern als Mensch. Einfach, weil jede/r von uns betroffen ist. Und weiter betroffen sein wird. Auch wenn die taz (sorry, dass immer Ihr es abkriegt), noch immer überzeugt zu sein scheint, dass die Klimakrise ein vorübergehendes Phänomen ist, wie sonst könnte man bezüglich der weiteren Entwicklung von XR munter schreiben: „Irgendwann kommt das nächste Thema.“ (Manchmal, aber das nur am Rande, hätte ich diesen blinden Zukunftsoptimismus auch mal gerne wieder. Und dann doch wieder nicht).
Ich habe in den vergangenen Monaten – bestens qualifizierte – Menschen kennengelernt, die nur noch halbtags arbeiten, um sich jetzt für den dringenden Klimaschutz engagieren zu können. Sie sind vielleicht noch nicht perfekt organisiert, aber sie handeln auf jeden Fall verantwortlich.
Noch einmal Urner und Langeslag, die am Ende ihres Artikels drei wesentliche, ganz konkrete Maßnahmen zitieren, die derzeit diskutiert werden. Sie klingen nicht gerade nach dem Ende der Demokratie:
1. Ein Preis für CO2. Viele Großunternehmen rechnen intern bereits mit einem Preis pro Tonne und finden so heraus, wo sie mit CO2-Einsparungen ihre Kosten in Zukunft am besten senken können. Investoren und damit Finanzmärkte haben längst verstanden, dass sie die Risiken, die durch CO2 entstehen, kalkulieren müssen und abdecken wollen. Für die genaue Umsetzung – Steuer oder Marktpreis – gibt es zahlreiche Möglichkeiten, und sie wird kommen,
2. Kohleausstieg. Kohle ist die CO2-stärkste Energiequelle, die wir nutzen. Viele Länder haben daher schon den Kohleausstieg innerhalb der kommenden Jahre zugesagt. In Deutschland z.B. steigt der Druck, sowohl durch die Zivilgesellschaft als auch durch Unternehmen, die verstanden haben, dass ihnen wirtschaftliche Einbußen drohen.
3. Rechtsweg nicht ausgeschlossen. Nach dem ersten erfolgreichen »Klima-Fall« 2015 in den Niederlanden gegen die niederländische Regierung wählen weltweit mehr und mehr Menschen den Rechtsweg, um ihr Recht auf eine Zukunft einzuklagen. Sie wollen die Regierungen zwingen, ihre Bürger vor einer +4-Grad-Welt zu schützen.
Urner und Langeslag enden mit dem Bild:
„Manchmal wirkt es noch, als spielten Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft »Heiße Kartoffel«, wenn die einen den anderen vorwerfen, nicht die entscheidenden Schritte zu machen und nicht genug zu tun. Konsumenten verlangen von den Politikern strengere Regeln für Unternehmen. Die schieben die Schuldkarte zu den Verbrauchern zurück, die schließlich nicht genug von SUV und Flugreisen kriegen könnten, während die Politik auf die Verantwortung von Unternehmen und Verbrauchern verweist. Während das Spiel mit der heißen Kartoffel noch häufig die (medialen) Debatten bestimmt, haben sich aber längst zahlreiche Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur »Gruppe Zukunft« zusammengeschlossen. Jede/r kann und sollte sich dem anschließen.”
Der beste Weg ist, einfach anzufangen, so die Autoren. Die anderen versuchen nur, Zeit zu schinden.