Was tut ein Coronaleugner, der an Covid erkrankt? Er bleibt uneinsichtig. Ein Spiegel TV-Film porträtiert den in der Querdenker-Szene bekannten und aktiven Mann.
„In der Covid-Station des Klinikums Darmstadt“, damit beginnt der Film, „liegen Anfang September 2021 bereits 12 Patienten, die meisten ungeimpft. Oberarzt Cihan Celik ist seit Beginn der Pandemie im Einsatz. Pausiert hat er nur, als er selbst an Corona erkrankte.“
Celik behandelt viele PatientInnen, die sich gegen eine Impfung entschieden und damit das Risiko, sich und andere zu infizieren, bewusst in Kauf genommen haben. So wie Herr Professor Dr. Müller, der auch jetzt noch sagt: „Ich möchte kein Versuchskaninchen sein.“
Und sich nun dennoch in die Hände der Ärzte begeben musste.
Der Oberarzt hätte allen Grund, frustriert zu sein und dies an solchen Patienten auszulassen, ihnen zumindest ins Gewissen zu reden – all das tut er in den gezeigten Szenen nicht. Er ist freundlich, fürsorglich, bemüht sich, dem Patienten seinen Zustand und die Behandlung zu erklären. „Wir passen ganz genau auf Sie auf.“
Obwohl Herr Müller auch jetzt noch – vom Krankenhausbett aus – seinen Mitstreitern sagt: „Macht weiter.“
„Ich sehe das naturgemäß sehr anders“, sagt Celik – und den ruhigen, zugewandten Ton, in dem er spricht, kann man nur bewundern. Ohne den geringsten Vorwurf, ohne jede Beschämung, versichert er dem Patienten einfach nur, dass er die bestmögliche Therapie bekommt – die er auch braucht, denn, so erfahren wir, der Zustand des Patienten hat sich in der Folge weiter verschlechtert.
Es wäre leicht, einem erkrankten Coronaleugner mit Schadenfreude oder zumindest Genugtuung entgegenzutreten – die Aufmachung des „spiegel“-Films läd vielleicht auch ein wenig dazu ein. Im Diskussionsforum dazu ist, gelinde gesagt, wenig Mitgefühl zu spüren – dass solche Menschen ihre Behandlung selbst zahlen sollten, ist noch mit die freundlichste Reaktion.
Jemand schreibt schlicht: „Der Mann ist wohl gefangen in seinem Weltbild“ – diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn man sich die Webseite von Herrn Müller anschaut (die ich hier nicht verlinken werde, da sie antisemitische und rassistische Inhalte hat). Die Sehnsucht nach einer guten, alten, offenbar für ihn heilen Welt, ist spürbar. Es ist eine Welt, in der man noch all jene rassistischen und antisemitischen Sätze sagen durfte, die für uns unerträglich sind – die Herr Müller jedoch nostalgisch verklärt.
Doch Cihan Celik sieht in ihm offenbar vor allem einen Patienten, der nun seine Hilfe braucht. Und darauf konzentriert er sich. Von den PatientInnen, die sich trotz vollständiger Impfung infiziert haben, hat niemand eine Covid-Lungenentzündung, in den überwiegenden Fällen gibt es keine Symptome. 80 % jedoch sind ungeimpft und haben damit die schwersten Verläufe.
Fehlendes medizinisches Wissen, Ignoranz gegenüber dem heutigen medizinischen Wissensstand im Bezug auf Corona, oder das, was Celik als „Arztferne“ bezeichnet – all das nimmt Celik ebenso hin wie andere Gegebenheiten, nicht anders als körperliche Risikofaktoren, mit denen man irgendwie umgehen muss.
Auch wenn Herr Müller – sofern er denn gesund entlassen werden kann – vorhat, weiter zu agieren wie bisher. Und das ist nicht nur frustrierend, sondern angesichts seiner gewissen Reichweite auch problematisch:
“Impfbereitschaft ist ansteckend, Impfskepsis aber auch”, so Psychologin und Verhaltensökonomin Katrin Schmelz, Wissenschaftlerin der Universität Konstanz.
“Alle Patienten, die derzeit bei uns auf der Intensivstation liegen, sind Ungeimpfte”, sagt auch Christine Falk, Professorin an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). Und das werde zunehmend auch zum Problem für die Moral des Personals in den Krankenhäusern.
Vom Dach gefallen
Sich mit Corona-Leugnern und Querdenkern auseinanderzusetzen, ist immer wieder schwer aushaltbar. Haarsträubende Pseudofakten, wütender Gestus, verquere Logik – “Coronatote? Gibt es nicht”, so eine Demonstrantin. “Da sind eben viele dabei, die vom Dach gefallen sind und dann post mortem noch einen positiven Test haben” – bei solchen Argumenten ist es schwer, ruhig zu reagieren.
Die aufgestaute Wut, Empörung und die Angst, die diese Menschen haben, ist im gewissen Sinne auch ansteckend – leicht gerät man, aus der entgegengesetzten Position heraus, in die gleichen Emotionen und versucht irgendwie, das Gegenüber zur Einsicht zu bringen. Das Problem ist nur: das wollen die Coronaleugner auch.
Sie sind anstrengend, teilweise unverschämt, manchmal aber auch den Tränen nahe: Impfgegner auf einer Demo, wie sie ein weiterer Spiegel-Film porträtiert. Manchmal ist auch ihre Verzweiflung spürbar. Sich ausgeschlossen, nicht ernst genommen fühlen, als „Mensch zweiter Klasse“, ohne jedes Vertrauen in Ärzte, Gesellschaft, Politik, ihre Kinder bedroht von Spritzen, die zwangsverordnet werden – all diese Ängste, so absurd sie für uns sind, erleben diese Menschen ja als real, und insofern sicher auch als sehr quälend – sofern sie nicht von Aggression und Aktionismus vollständig überlagert sind.
Wie gut, wenn man so klar, ruhig und gelassen bleiben kann wie Oberarzt Cihan Celik.
Gefühlter Kontrollverlust macht anfällig
“Wenn Sie in einer Situation sind, in der Sie das Gefühl haben, dass die Kontrolle verloren geht, und nichts mehr vorhersehbar ist, dann öffnen Sie sich für Ideen, Menschen und Gruppen, die Ihnen schnell wieder das Gefühl von Kontrolle geben”, erklärt Konfliktforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld den dahinter liegenden psychologischen Mechanismus.
Psychiater Jan Oude-Aoust sagt: Wir brauchen Informationen, Geduld, und – wir müssen die Ängste ernst nehmen. Ihnen nicht recht geben, aber sie ernst nehmen.
Zwischen 3% und 5% der Impfgegner sind Menschen, die Argumenten nicht zugänglich sind.
Circa 20 % sind Menschen, die einfach verunsichert sind – sie müssen wir erreichen.