Anbei der vierte und damit letzte Teil der Übersetzung des Talks von Daniel Schmachtenberger mit David Fuller. Am Ende des Textes finden sich weitere Links zur Arbeit von Schmachtenberger.
Daniel Schmachtenberger: Wenn wir an die Metamorphose von Raupe zu Schmetterling denken: Im Inneren der Puppe ist keine Raupe oder ein Schmetterling, sondern etwas Klebriges. Und in dieser Schleimphase, in diesem Übergang stirbt die Raupe tatsächlich. Denn die Raupe verliert nicht nur an Gewicht und bekommt Flügel. Wenn man es sich ansieht, hat die Raupe einen genetischen Code, um Bestandteile zu sammeln, Mineralien und Aminosäuren und Zucker, die dann in einem Schmetterling wieder neu zusammengesetzt werden.
Wenn wir uns nur die Raupe ansehen und dabei nicht wüssten, dass es ein Schmetterling wird und wir würden sehen, wie sie immer größer wird, alles frisst und nichts bestäubt, würden wir vorhersagen, sie frisst und frisst, bis die Gattung ausstirbt.
An einem bestimmten Punkt jedoch ist die Biochemie angereichert genug, dass es diese Bewegung in der Puppe auslöst, sie beginnt sich aufzulösen, wird auf einem Aminosäuren-Niveau reorganisiert in etwas, das jetzt jene Pflanzen bestäubt, die die Raupe zuvor dezimiert hat, und nun hilft bei der Entwicklung des gesamten Systems.
Das Schmetterlingsstadium konnte aus dem Raupenstadium nicht vorhergesagt werden. (…) sehr ähnlich wie Föten in der Gebärmutter, ein Fötus kann nicht länger als 40 Wochen in der Gebärmutter bleiben, 50, 60 Wochen – das Kind würde sterben und die Mutter auch. Aber es kann auch nicht viel früher zur Welt kommen, weil es noch nicht bereit ist für das nächste Stadium. Es kommt heraus, wenn es zum ersten Mal kann. Es hat sich schließlich so weit entwickelt, dass es die Muttermilch trinken kann, statt die Nahrung direkt aus der Nabelschnur zu bekommen – aber es kommt auch zur Welt, sobald es das muss, es gibt ein ziemlich enges Zeitfenster für den Übergang.
Das gleiche gilt für ein Tier, das sich in einer Eierschale entwickelt, es gibt eine begrenzte Menge an Ressourcen, und wenn diese aufgebraucht sind, muss es herauskommen – und es ist gleichzeitig der früheste Zeitpunkt, an dem es das kann, an dem das System umgehen kann mit dem Übergang.
Wir sehen also in der Natur diese Art von Präzedenzfall, diese diskreten nichtlinearen Phasenverschiebungen. Er gibt eine Entwicklungskurve „in utero“, und dann gibt es einen Shift, und dann eine Kurve außerhalb. Diese eigenständige Phase, der Übergang durch den Geburtskanal hindurch, unterscheidet sich von der Phase davor oder danach.
Wenn man also fragt: „Kann eine der Raupen zum Bestäuber werden?“ – ist das die falsche Frage, oder? Das Problem, das wir sehen, ist, dass die Raupen alles fressen, das stimmt. Und dass die Ressourcen verbraucht werden aus einer grundlegend anderen Reihe von Gründen heraus – um den strategischen Wettbewerbsvorteil aufrechterhalten. Das versuchen die Führungskräfte zu tun. Die Führer aller Unternehmen versuchen, strategische Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen zu behaupten. Ein Land liegt überkreuz mit anderen Ländern. Aber in dem Moment, in dem man überlegen ist, einen Vorteil hat und ihn einsetzt, sehen ihn alle anderen auch, Ingenieure nehmen Anpassungen vor und man erhöht nur das Rivalitätsniveau für das gesamte Spielfeld.
Das Ganze beendet sich selbst. Das Streben nach strategischem Wettbewerbsvorteil, die rivalisierende Dynamik ist das, was sich auf diesem Level von Macht eigentlich selbst zerstört. Also – wie nutzen wir nun die gesamte technologische Kapazität für etwas anderes, nicht dazu, Macht über andere zu haben – sondern Stärke zu haben, um nicht von anderer Macht verformt zu werden und in der Lage zu sein, nicht in Rivalität zu handeln.
David Fuller: Wenn es also eine Gesellschaft gibt, die sich in dieser Art entwickelt – sozusagen von der Raupe zum Schmetterling – bedeutet das, dass jeder einzelne Mensch die gleiche Veränderung durchmachen muss, und wenn ja, was bedeutet das, wie kann das aussehen?
Daniel Schmachtenberger: Es braucht die Individuen, die Familien und Kleingruppen, die Gemeinschaften, Dörfer, Stämme, größere Gruppen, ja, tatsächlich alle. Es ist ein individueller und kollektiver Sinnfindungs- und Entscheidungsfindungs-Prozess.
Individuelle Entwickung ist notwendig, aber das reicht nicht aus. Auch wenn man eine Gruppe von Menschen hat, die für sich allein etwas Sinnvolles erschaffen, können diese nicht die Komplexität der Welt verstehen, wenn sie nicht herausfinden, wie man eine sinnvolle kollaborative Dynamik mit anderen Menschen schafft. Und wenn sie nur mit einigen zusammenarbeiten, mit anderen aber nicht, gerät man wieder in eine Wettbewerbsdynamik, dann finden andere heraus, wie man Desinformation einsetzt, um gewinnen zu können – und man erhält dieselbe Dynamik.
Versuche nicht länger, das tödliche Spiel zu gewinnen
Also wir finden entweder eine nicht rivalisierende, gesamt-kollaborative Art von Dynamiken heraus, oder wir erreichen nur ein Niveau an kollektiver Intelligenz, das niedriger ist als das, was wir brauchen.
Also, wenn Einzelpersonen sagen, okay, ich allein weiß nicht, wie man die Makroökonomie ändert, ich weiß nicht, wie man ein postdemokratisches Führungssystem schafft, ich weiß nicht, wie man einen geschlossene Wirtschaftskreislauf schafft – kann ich tun, um zumindest Mitbürger der zukünftigen Welt zu werden?
Was ich dazu sagen würde: Hör auf zu versuchen, das zu Ende gehende Spiel zu gewinnen, nicht nur das sich selbst beendende Spiel, sondern das Spiel, das alles tötet.
Wenn man immer noch versucht, bei diesem Spiel zu gewinnen, kann man nicht gleichzeitig behaupten, etwas Sinnvolles in Angriff zu nehmen. Das ist das Eine. Und dann sollte man nicht in Wut oder Hoffnungslosigkeit stecken bleiben, oder ausschließlich mit der eigenen Entwicklung und dem Lotus-Sitz beschäftigt sein, sondern versuchen, immer besser herauszufinden, was man tun kann, um ein neues Spiel zu gestalten, das für alle stimmt.
David Fuller: Es hört sich so an, als ob es hier um eine fast spirituelle Entwicklung im Bezug auf die Überwindung des eigenen Egos gibt.
Daniel Schmachtenberger: Wer mit seinen Familienmitgliedern und deinen Ex-Partnern nicht klarkommt und sich sehr sicher ist, Recht zu haben, während die anderen falsch liegen – und gleichzeitig eine Vorstellung davon hat, wie Israel und Palästina miteinander auskommen könnten, oder die USA und China – ist einfach nicht ernst zu nehmen. Man bekommt keine Ahnung von Politik, wenn man nicht wirklich etwas – in einem verinnerlichten, verkörperten Sinn – darüber weiß, wie man mit Unterschieden umgeht, und wie man Konflikte wirklich löst.
David Fuller: Es klingt ein bisschen nach Jordan Peterson: „Reinigen dein eigenes Zimmer, achte auf alles, worauf du selbst achten kannst, bevor du versuchst, etwas anderes zu reparieren“.
Daniel Schmachtenberger: Grundlagen sind Grundlagen, die sind wichtig. Der andere kritische Punkt ist, dass wir nicht davon ausgehen können, dass andere diese Probleme beheben werden, und wir uns einfach entspannen können, während die Welt sich zum Guten entwickelt.
Das bedeutet auch, dass man nicht ausrasten, sich in existenzieller Angst oder Überaktivität verlieren sollte, ohne eine Idee davon zu haben, was zu tun ist – sondern sich mehr und mehr einlassen und begreifen, okay, es gibt einen Weg, wie es gehen könnte, aber es ist noch längst nicht gesagt, dass wir es schaffen werden.
Also, anstatt zu fragen, ob wir es schaffen oder nicht, kann ich mich fragen – wie kann ich dazu beitragen, dass wir es schaffen, wie kann ich mich engagieren. Und das erfordert, eine Menge Zeug zu lernen, das man noch nicht kennt und weiß, etwas, dass vielleicht noch niemand zusammengebracht und -gedacht hat.
Das bedeutet sprichwörtlich, eine imaginäre Zelle im Übergang der Raupe zum Schmetterling zu sein, eine eigene Verantwortung zu übernehmen, jemand zu sein, der hinschaut – und dass man nicht einfach die alte gegebene Bedienungsanleitung nehmen kann. Und dass die neue Bedienungsanleitung noch nicht existiert. Es ist tatsächlich unsere Aufgabe in dieser Übergangsphase, herauszufinden, was die neuen Strukturen sind.
David Fuller: Wie kann es aussehen, wenn wir als Individuen lernen müssen? Wenn sich jemand das hier ansieht und sagt, okay, ich muss vieles lernen, was könnte das sein?
Daniel Schmachtenberger: Nun, manche Leute haben vielleicht ein sehr klares Gespür dafür, was alles getan werden muss, um an der Zukunft der Bildung zu arbeiten, daran, wie man junge Menschen zu gesunden, souveränen Menschen entwickeln kann. Das ist dann deren Fokus. Oder das Gesundheitswesen oder die neue zirkuläre Wirtschaft, was auch immer es ist. Wenn man sich umfassend über notwendige Veränderungen unserer Zivilisation informieren möchte, kann man die Arbeit der Menschen in diesem Video verfolgen, die einen anspricht, und mehr darüber erfahren, zum Beispiel anhand der Fußnoten.”
Hier der Link zur Webseite von Daniel Schmachtenberger mit einer Sammlung seiner Podcasts, Artikel und Talks.
Ein Talk von Daniel Schmachtenberger insbesondere zu COVID-19 “as a crash-course in systemic risk” findet sich hier.