Zur “Climate fiction”
Auch Kunst und Kulturschaffende reagieren auf die Klimakrise. Und in der Literatur entwickelt sich das spannende Feld der “Climate Fiction” – also einer Literatur, die sich mit dem menschengemachten Klimawandel befasst.
Anfang Dezember fand das Climate-Fiction-Festival statt, veranstaltet vom Literaturhaus Berlin und dem Climate Cultures Network Berlin – viele der Vorträge kann man hier nachhören (Danke an Eva Christina Zeller für den Hinweis!)
Wenn der Dampfer Richtung Eisberg rast, nützt es nicht viel, auf Deck in die andere Richtung zu rennen, um der Katastrophe zu entkommen. Und wenn (…) die Erde wirklich in eine Klimakatastrophe steuert, dann trifft das Bild vom Dampfer auch die Lage der Literatur sehr genau: Wenn Literatur weiterhin so tut, als ginge sie die planetarische Gesamtrichtung nichts an, wird sie selbst verschwinden.
aus dem Programm des “Climate-Fiction-Festivals”
Wie viel sich an der “Schnittstelle von Klima, Krise und Kultur” tut, sieht man – nur zum Beispiel – auf der Webseite des Climate Cultures Network Berlin.
Die Literatur als eine mögliche Kunstform hat manche Vorteile gegenüber der bloßen Vermittlung der Klimafakten – sie soll und darf emotional sein, sie kann dystopische Entwicklungen beschreiben, aber auch konstruktive, kreative Zukunfts-Szenarien entwerfen.
Sie kann auch die Widersprüche unseres menschlichen Verhaltens sichtbarer, spürbarer machen als mancher Sachtext – durch eindringliche Metaphern, Assoziationen, Analogien, so wie zum Beispiel im oben genannten Bild: an Deck des Dampfers auf die andere Seite zu laufen, wird uns nichts nützen, wenn das Schiff untergeht.
Ilija Trojanow: “Wieviel Hölle verträgt das Paradies?”
Ans Herz gelegt sei allen hier ein Essay von Ilija Trojanow, in dem er das Unbehagen und die Widersprüchlichkeit unseres gegenwärtigen Lebens sehr eindringlich und bewegend in Worte fasst. “Wieviel Hölle verträgt das Paradies?” lautet der Titel seiner Rede, die das abgesagte Literaturfestival Buch Basel hätte eröffnen sollen, nachzulesen auf der Webseite von medico international.
“Wir wissen, dass das, was sich heutzutage Wohlstand nennt, auf einem noch nie da gewesenen Raubbau basiert. Die ökologischen Zerstörungen wie auch das extreme Anwachsen von Ungleichheit sind umfassend analysiert und dokumentiert. (…) Und doch halten viele Menschen das System tagsüber für stabil, um sich nächtens in ihren Albträumen zu wälzen”, schreibt Trojanow.
Wir, so Trojanow weiter, “erliegen dem Zauber eines reich gedeckten Tisches, ohne uns gross Gedanken zu machen über die wahren Kosten und die langfristigen Aussichten. Jene hingegen, die über die Versorgung des Kühlschranks ehrlich Buch führen und Inventar erstellen, malen das kommende Unglück an die Kühlschranktür. Darin besteht die Wirrnis unserer Zeit: An der Tür eines vollen Kühlschranks prangt das realistische Bild eines Weltuntergangs. Und weil die Vision der Hölle inmitten von Schlaraffenland als eine Wahnvorstellung erscheint, schenken wir ihr keinen Glauben.”
Aber der Schriftsteller beschreibt nicht nur unsere seelische Verfasstheit, sondern benennt auch absolut notwendige Schritte, um zukünftige Pandemien ebenso wie die Klima-Krise zu begrenzen: “Mittelfristig müssen wir unsere Tierfabriken schliessen. Nicht nur aus Gründen der Tierethik. Sondern zum Selbstschutz. Wir müssen die ökologisch desaströsen globalen Produktionsketten umstellen auf lokale, überschaubare, regulierte Netzwerke, auf kleinere landwirtschaftliche Betriebe. Wir müssen genetische Vielfalt als «immunologische Feuerschneise» (Rob Wallace) nutzen. Und wir müssen weltweit die Urwald- und Feuchtgebiete schützen beziehungsweise wiederherstellen.”
Schließlich, so schreibt Trojanow: “Wenn ein System kollabiert oder sich als fehlerhaft erweist, muss ein neues aufgebaut werden. Das ist nicht Philosophie, nicht Politik, das ist gesunder Menschenverstand. Und eine Aufforderung an uns alle.”
Mohsin Hamid: In diesem 21. Jahrhundert sind wir alle Migranten
Und, als zweite Empfehlung, ein wunderbarer Essay von Mohsin Hamid, erschienen im August 2019 im National Geographic mit dem Titel: “In the 21st century, we are all migrants” – Hamid erinnert uns daran, dass wir eine “wandernde Spezies” sind, eigentlich flexible und anpassungsfähig genig, uns neuen Herausforderungen zu stellen:
“Wir werden eine neue Kunst, neue Geschichten und neue Seins- und Lebensarten brauchen. Aber das Potenzial ist groß. Eine bessere Welt ist möglich, eine gerechtere und umfassendere Welt, besser für uns und unsere Enkelkinder, mit besserem Essen und besserer Musik und weniger Gewalt. Vor zwei Jahrhunderten war die Stadt in Ihrer Nähe geradezu unvorstellbar anders als heute. Und in weiteren zwei Jahrhunderten wird der Unterschied zu heute mindestens ebenso groß sein. Nur wenige Bürger – egal in welcher Stadt – würden es vorziehen, in ihrer Stadt zu leben, so wie sie vor zwei Jahrhunderten war. Wir sollten die Zuversicht haben, uns vorzustellen, dass dies auch für die Bürger der Weltstädte in zwei Jahrhunderten gelten wird.“
Ich habe versucht, den Essay von Hamid zu übersetzen, so, dass die poetische Schönheit seiner Sprache erhalten bleibt. Zur Übersetzung geht es hier.