Daniel Schmachtenberger ist Futurist, Evolutionsphilosoph, Stratege und Sozialingenieur. Er eröffnet einen – wie wir finden – sehr inspirierenden Blick auf die gesellschaftliche Krise, die wir erleben, indem er sie im größeren Zusammenhang unserer gesamten zivilisatorischen Entwicklung betrachtet. Es ist ein klarer, öffnender Blick auf unsere menschliche Spezies und auf die Natur, von der wir alle abhängen – und die wir dennoch, so Schmachtenberger, nicht richtig begreifen.
Anbei das Gespräch, das Schmachtenberger hier mit David Fuller von Rebel Wisdom führt, in deutscher Übersetzung, wir haben versucht, die eindrückliche Kraft und Klarheit in Schmachtenbergers Sprache dabei möglichst zu erhalten.
David Fuller: Viele Menschen haben das Gefühl, dass alles allmählich zusammenbricht, können Sie diese Menschen verstehen? Und wie würden Sie zusammenfassen, was das bedeutet?
Daniel Schmachtenberger: „Wenn wir uns die Geschichte dessen ansehen, was wir heute Zivilisation nennen, fällt uns auf, dass alle frühen Zivilisationen nicht mehr existieren, ob wir nun die Mayas nehmen, die Azteken, die Ägypter, das Römische Reich, das griechische Reich, sie alle sind zusammengebrochen – und so ist der Präzedenzfall tatsächlich, dass die Zivilisation zusammenbricht, und nicht, dass sie fortbesteht.
Der große Unterschied ist, dass dies das erste Mal ist, dass wir eine völlig globale Zivilisation haben. Eigentlich existiert so etwas wie die „USA“ oder „China“, getrennt voneinander, gar nicht – wenn man die globalisierte Ökonomie von Materialien und Technologien versteht. Auf der Welt gibt es kein einziges Land, das seine eigene Verbraucherelektronik herstellen kann, nicht ohne den Bergbau, die Produktion und die Technologie der ganzen Welt.
Der Prozess unserer Zivilisation ist also so geartet, dass selbstauflösende Dynamiken eingebaut sind. Und wenn dies auf globaler Ebene geschieht, ist die Katastrophe, die bislang immer begrenzt war, im Grunde unbegrenzt. So groß das Römische Reich war – als es zusammenbrach, war es nicht die ganze Welt. Es war begrenzt, nicht nur im Sinne der geografisch begrenzten Größe, sondern auch aufgrund des technischen Niveaus. Es führte zwar Wüstenbildung durch die Form der Landwirtschaft, aber es war nicht in der Lage, die gesamte Biosphäre zu destabilisieren.
In nur hundert Jahren industrialisierter Fischerei haben wir die meisten großen Fischarten ausgelöscht – auf einem Planeten, der zu Dreivierteln aus Wasser besteht, und der dreieinhalb Milliarden Jahre brauchte, um diese Fischarten zu entwickeln.
Unbegrenzte Prozesse in einer begrenzten Biospäre
Wir erkennen, dass wir auf die gleiche Weise handeln, die immer zu Krieg und Umweltzerstörung und zum Zusammenbruch der Zivilisation geführt hat, jetzt aber mit dem exponentiellen Wachstum der Technologie.
Wenn wir also über zunehmende Rivalität nachdenken, über Rivalitätsdynamiken, die zu einer Polarisierung führen, die wiederum zu Kriegen führt, wobei die Möglichkeiten der Kriegsführung exponentiell wachsen – dann wird das alles größer, als eine begrenzte Biosphäre es verkraften kann. Es wird existenziell.
Denken wir an die exponentiell wachsende Ausbeutung von Ressourcen und an die exponentiell zunehmende Verschmutzung – und das nicht in einem Netzwerkdiagramm, sondern in einem Ökosystem, in dem es keine offenen Kreisläufe gibt: Alles ist Nahrung für etwas anderes, es gibt in der Natur keine „nicht-erneuerbaren“ Ressourcen, keine Abfälle.
Unsere Zivilisation jedoch zeichnet sich durch eine lineare und nicht durch eine zirkuläre Materialwirtschaft aus.
Auf der einen Seite haben wir die Toxizität und Verarmung in der Natur, auf der anderen Seite die Anhäufung – ob es sich bei der Verarmung nun um das Aussterben von Arten handelt, den Verlust der biologischen Vielfalt oder was auch immer an Verlusten entsteht. Und, auf der Seite der Akkumulation: Ob es sich nun um CO2-Werte in der Luft oder im Wasser handelt, oder Stickstoff oder um abgebautes Uran oder was immer – das alles sind die konkret auftretenden Objekte in offenen Kreisläufe, bloß innerhalb der Dynamik geschlossener Kreisläufe von Ökosystemen – wobei wir zum einen eine Zivilisation haben, die immer fragiler wird, und sich zum anderen das zugrunde liegende immer zerbrechlichere Ökosystem selbst die Grundlage entzieht, von der es abhängt.
Wenn wir an exponentielle Gewinne und exponentielle Verschmutzung denken, wird das alles offensichtlich größer, als es das Ökosystem verkraften kann. Wenn wir also zum Beispiel versuchen, über eine exponentielle Ausweitung des Geldangebots nachzudenken, das auf Waren und Dienstleistungen basieren muss, kann das nicht länger funktionieren.
Wenn wir darüber nachdenken, dass wir auch im Bereich der Narrative und Informationen konkurrieren, dass wir exponentielle Informationstechnologien verwenden, zur Desinformation und zur Kontrolle von Bevölkerungen – dann kommen wir zu dem Schluss, dass die Informationsökologie so zerstört ist, dass wir bei all den wichtigen Fragen – Was geschieht tatsächlich in Nordkorea – Werden wir Atomkriege erleben – Was passiert tatsächlich in Syrien – Was geht vor zwischen Putin und der Trump-Administration – Wie lange haben wir wirklich Zeit, bis die Korallenriffe abgestorben sind – Werden wir es als Spezies schaffen oder nicht – dass wir bei all diesen wichtigen Fragen nicht wirklich wissen, wie wir darin noch einen Sinn finden können.
Der Verlust der Sinngebung
Wenn wir also in einer Situation sind, in der die Fähigkeit zur Sinngebung tatsächlich exponentiell abnimmt, und in einer Informationsökologie leben, die zunehmend zerstört ist und dabei zugleich die Fähigkeit, große Entscheidungen zu treffen, exponentiell zunimmt – denn Technologie ist im Grunde genommen der Level, auf dem wir Entscheidungen treffen – also mit einer Faust kann ich einen bestimmten Schaden anrichten, und wenn ich das auf ein Steinwerkzeug ausdehne, ist es ein größerer Schaden, umso mehr bei einem Bronzewerkzeug, einer Waffe, bis hin zum Level einer Langstreckenrakete – das ist also eine wirklich große Erweiterung dieser Art von Entscheidungskompetenz.
Aber wenn wir die Auswahlmöglichkeiten exponentiell erweitert haben und zugleich die Sinngebung exponentiell abnimmt, steuern wir immer auf eine Klippe zu. Insofern unterscheidet sich die zugrunde liegende selbstzerstörende Dynamik, die die Menschen nun wahrnehmen und spüren, in ihrem Wesen nicht von derjenigen, mit der wir seit Beginn der sogenannten Zivilisation konfrontiert waren – sie unterscheidet sich in ihrem Ausmaß und der Geschwindigkeit, unter dem Einfluss der beteiligten Exponentialkurven.
David Fuller: Wenn wir über den notwendigen Wandel sprechen – wir können das Ganze materiell betrachten oder im Bezug auf eine Entwicklung unseres Bewusstseins oder der Art und Weise, wie wir damit umgehen – was ist der Sprung, den wir machen müssen? Wie können wir handeln?
Daniel Schmachtenberger: Man muss tatsächlich auf all diesen Ebenen darüber nachdenken, um es auf sinnvolle Weise verstehen zu können. Sonst wäre es so, als würde man fragen – wenn wir über die Gesundheit eines Menschen sprechen–, ob nun die Gesundheit seiner Leber, seiner Nieren oder seines Blutes gemeint ist. Das macht keinerlei Sinn, man kann die einzelnen Teile nicht von einander trennen.
Wenn ich also darüber nachdenke, was Ökonomie ist – Ökonomie ist unser Wertesystem, das in Wertgleichungen kodifiziert ist und bestimmt, wie wir eine Sache relativ zu einer anderen Sache bewerten.
Das bestimmt, wozu wir motiviert sind und wem oder was wir Macht verleihen. Wenn also ein toter Wal auf einem Fischerboot eine Million Dollar wert ist und ein lebender Wal im Ozean nichts wert ist, ist dies ein Wertesystem, das in einer Wertgleichung eingeschrieben ist, die dann Anreize für Verhalten schafft.
Aber es schafft auch eine Psychopathologie. Ganz reale Psychopathien: Ich muss Empathie abschalten, denn wenn ich den Wal im Ozean lasse – er wird ja tatsächlich nicht einmal im Ozean bleiben – wird jemand anderes ihn jagen. Ich habe also eine Tragödie des Gemeinwesens. Ich muss mich selbst irgendwie innerlich abtöten, um das tun zu können, was vom System gefordert ist – oder jemand anderes tut es, und ich bin einfach nicht effektiv im System.
Man kann also nicht über die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins nachdenken, ohne die Entwicklung der Wirtschaft mitzudenken. Wenn wir uns jedoch ansehen, wie die Wirtschaft ihre eigenen Gewinnströme schützen muss, wie sie lernt, die Medien zu beeinflussen, um damit die sinngebenden Rahmenbedingungen der Menschen zu steuern, wie sie die Regierungen beeinflusst, dann sind wir wieder beim Bewusstsein – oder wie sie die Gesetzgebung über die Art unser Bildung beeinflusst, um die Menschen für den Arbeitsmarkt vorzubereiten – dann betrifft der Paradigmenwechsel im Grunde genommen – alles.