Ein paar Vorschläge, was wir als Einzelne tun können – nachdem es im letzten Artikel darum ging, was alles in der öffentlichen Diskussion und Kommunikation zur Corona-Krise nicht hilft.
Fake news nicht teilen
Wie problematisch fake news sind, haben wir immer wieder mal thematisiert (auch junk news sind problematisch, siehe hier)
Clickbaiting widerstehen
Also Beiträgen, die gezielt auf starke Emotionen und psychologische Effekte setzen, um uns zum Weiterklicken zu bewegen. Was angekündigt wird als „Schreckliches Geheimnis“ „Schockierende Wahrheit “, „Alarmierend“, „Dramatisch“ und so weiter, hat meist keinerlei Informationsgehalt und ist auch nicht harmlos: Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit, im world wide web ist sie Geld wert. Klicken Sie daher keine Seiten an, bei denen Sie es unethisch fänden, Sie mitzufinanzieren.
Ein kurzer (knapp 5 min), auch witziger TED-talk dazu von Sally Kohn. Sie sagt: Wenn wir nicht möchten, dass sich diese Art unguter Kommunikation weiter verbreitet, gibt es ein schlichtes, aber wirksames Mittel: Nicht anklicken. Letzten Endes finden die meisten von uns diese Beiträge furchtbar. Und klicken dann doch an, was uns mit Sex, Skandalen und Dramen locken will. „Früher dachte ich“, sagt Kohn, „im Fernsehen aufzutreten ist ein öffentlicher Akt der Mediengestaltung, und danach zuhause im Internet zu surfen und auf Twitter zu sein, ist privat.”
Das ist es aber nicht. „Klicken ist ein öffentlicher Akt“, so Kohn.
Nicht nur alles, was wir selbst posten, sondern auch alles, was wir anklicken, ist ein öffentlicher Akt, der die Medien mitgestaltet: Basierend auf dem, was wir bisher angeklickt haben, werden ähnliche Inhalte produziert. “Und das formt unsere Kultur”. Kohn hat zwei Anliegen: “Wenn jemand online beschimpft wird, tun Sie etwas dagegen. Ersticken Sie das Negative mit Positivem.”
Und: Wenn Sie sensationslüsterne Beiträge nicht mehr sehen wollen – nicht anklicken. “Wenn wir Seiten anklicken, in denen Menschen sich gegenseitig fertigmachen, oder auch Politiker niveaulose Kommentare verbreiten, gießen wir Öl ins Feuer. Wir können und müssen die Welt mitgestalten mit der verantwortungsvollen Auswahl dessen, was wir anklicken und lesen.”
Ich möchte ergänzen: Wo immer Sie sich an der Skandalisierung und/oder unangemessener Berichterstattung stören, auch z.B. in Ihrer (Tages-)-Zeitung: Protestieren Sie. Machen Sie klar, dass Sie seriöse, sachliche Informationen wollen.
Zeiten des „Inputs“ begrenzen
Das ist gegenwärtig besonders schwer. Die unsichere Situation, die wir derzeit erleben, führt dazu, dass wir instinktiv zu typischen Überlebensstrategien neigen, zum Beispiel ständig “die Lage checken”. Auf die News starren. Auf die neuesten Verbreitungs-zahlen der Epidemie. Den Liveticker verfolgen. Dabei ist für die meisten von uns nicht entscheidend, alle Einzelheiten sofort mitzubekommen – ein grundlegender Text, eine fundierte Analyse, ein Wochenrückblick, eine Reportage können wesentlich erhellender sein. Und: besser nicht ständig und nebenbei lesen, sondern ganz gezielt und zeitlich begrenzt. Gerade jetzt ist eine gute Zeit, das auszuprobieren: Zum Beispiel die erste halbe Stunde und die letzten zwei Stunden des Tages offline verbringen. Das kann wieder mehr Ruhe in den Alltag bringen – und man kann es, wenn man es mal einen Tag nicht durchgehalten hat, gleich am nächsten Tag wieder neu ausprobieren.
Bewusst lesen
Würden wir so essen, wie wir oft die Nachrichten konsumieren: da käme alles mögliche zusammen, Süsses, Bitteres, Leicht- und Schwerverdauliches, Ungenießbares – und das alles zu viel, zu schnell und durcheinander. Während wir nebenbei auch noch alles mögliche andere tun. Kein Wunder, dass wir das alles nicht mehr verarbeiten können.
Bewusst auswählen
Unterstützen Sie Qualitätsmedien. Es gibt zahlreiche sehr gute Möglichkeiten:
RiffReporter ist, nach eigenen Angaben: “ein neuartiges, mit dem Grimme Online Award und dem #Netzwende-Preis ausgezeichnetes Projekt für lebendigen Qualitätsjournalismus. Auf www.riffreporter.de bekommen Sie fundierten, vielfältigen Journalismus zu Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur, Umwelt und Technologie – direkt von professionellen freien Autorinnen und Autoren.” Die Korallen der Riffreporter sind Digitalmagazine zu verschiedenen Themen wie Natur und Vogelwelt, KlimaSocial, Journalismus und Nachhaltigkeit, postfossile Zukunft – und viele mehr. Alle Magazine haben einen kostenlosen Newsletter, den man einfach bestellen kann.
Von der Süddeutschen Zeitung gibt es den “SZ Klimafreitag”-Newsletter, den man ebenfalls kostenlos abonnieren kann: Aktuelle wöchentliche Beiträge zu Klimafragen, derzeit natürlich auch zu Corona, von einem Team von SZ-Autoren.
Und perspective daily ist laut eigener Angaben: “das erste mitgliederfinanzierte, lösungsorientierte und werbefreie Online-Magazin in Deutschland.”
Es gibt so viele gute Medienmacher, die unsere Unterstützung brauchen. Und deren Unterstützung wir brauchen, weil Qualitätsjournalismus gerade jetzt besonders wichtig ist.
“Good news” lesen
Gute Nachrichten tun manchmal einfach gut. “Good news des Tages” kann man als kostenlos als Newsletter abonnieren oder die entsprechende App installieren. Auch wenn hier ganz gezielt nur ein Ausschnitt der Nachrichtenwelt vermittelt wird – einen Blick auf gute, hoffnungsvolle News erinnert uns zum Beispiel daran, dass viele Menschen an kreativen Lösungen für gesellschaftliche Probleme arbeiten oder neue Ideen entwickeln, um der Klimakrise zu begegnen.
Das Enorm Magazin nennt sich selbst “Magazin für gesellschaft-lichen Wandel” – Es gibt auch einen Enorm Ticker, der gerade jetzt konstruktive News verbreiten will: “… insbesondere in Zeiten einer Pandemie, die medial alles andere, wohl für die nächsten Monate, an den Rand drängen wird. Daher haben wir beschlossen, euch mit guten Nachrichten in der Coronakrise zu versorgen. (…) Unser Blick soll dabei ein ebenso sachlicher wie globaler sein. Auch Nettes und Unterhaltsames wird in diesen Ticker wandern. Das Ziel von “Enorm” ist es, pro Tag mindestens drei gute Nachrichten zu sammeln, die Mut und Hoffnung machen.”
Selbst relevante und konstruktive Informationen verbreiten
Wann auch immer sich die Gelegenheit bietet: Verbreiten Sie selbst relevante, hilfreiche, konstruktive News. Letztlich ist auch diese Webseite nichts anderes als der Versuch, das zu tun …
Hier sei noch der wunderbare Kommentar von Franz Alt empfohlen, in dem er einfach einmal auflistet, welche Entwicklungen im Moment positiv sind – und welche Möglichkeiten sich auftun, was wir aus der Krise lernen können. Hier ein Auszug aus seinem Kommentar:
Gut ist:
- Dass die Politik verbietet, Mietern jetzt zu kündigen.
- Gut ist, dass Deutschland französische und italienische Corona-Patienten aufnimmt.
- Gut ist, dass der Staat, im Gegensatz zur letzten Krise 2008, nicht nur Großbanken rettet, sondern auch mittlere und kleinere Betriebe und sich auch um die sozial Schwachen kümmert.
- Gut ist, dass sich schon jetzt abzeichnet, dass Sozialberufe künftig besser bezahlt werden und gesellschaftlich besser wertgeschätzt werden müssen.
- Gut wird die jetzt bald fällige Diskussion sein, ob Kranken-häuser in Zukunft unbedingt Geld verdienen müssen.
- Gut ist, dass künftig mehr medizinische Vorsorge für Notfälle getroffen werden wird und dass Krankenhäuser besser auf Notfälle reagieren können.
- Gut ist, dass es künftig viel schwerer sein wird, wichtige Gemeingüter wie Gesundheit, Wasserversorgung oder den Nah- und Fernverkehr zu privatisieren.
- Gut ist, dass jetzt sogar eine Umverteilung von oben nach unten möglich werden wird.
- Möglich ist, eine Renationalisierung oder eine Re-kontinentalisierung zu organisieren und Lieferketten bei Lebensmitteln oder Medikamenten zu regionalisieren. Es ist wenig hilfreich, von chinesischen oder US-amerikanischen Mundschutzgeräten oder Atemgeräten abhängig zu sein. Die Globalisierung muss durch mehr Regionalisierung flankiert werden.
- Es ist gut, wenn wir jetzt lernen, künftig mehr im Homeoffice zu arbeiten und weniger Auto zu fahren oder Flugzeuge zu benutzen. Nationaler Flugverkehr ist überflüssig und umweltschädlich.
“Vieles”, so Franz Alt, “was bisher unmöglich schien, wird morgen möglich sein, wenn wir fähig sind, aus der Krise und in der Krise zu lernen. Das hängt von uns ab. Von wem denn sonst?
Gemeinsame Krisenerfahrungen können Solidarität und Fortschritt mobilisieren. Die Daseinsvorsorge des Staates wird einen höheren Stellwert erfahren.
Vergessen wir freilich nicht: Trotz vieler möglicher positiver Perspektiven für Europa: Afrika, Indien und Südamerika steht das Schlimmste noch bevor.
Wenn schon Rom, London, Paris, das Elsass und die Lombardei oder New York mit ihrem Gesundheitssystem an ihre Grenzen kommen, was wird dann erst in den Slums von Calcutta, New Delhi, Dacca, Rio, Nairobi oder in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten los sein in den nächsten Wochen und Monaten? Erst dann wird sich zeigen, ob wir wirklich verstanden haben, was Solidarität ist.” So weit Franz Alt.