Hier geht es um die Frage, was in der öffentlichen Diskussion und Kommunikation in der Corona-Krise nicht hilft. (Und hier gibt es ein paar Vorschläge, was wir als Einzelne im Bezug auf die Kommunikation in Corona-Zeiten tun können)
Emotionale Aufladung hilft nicht
Nur ein Beispiel von vielen: Am 22.03. erläutert Angela Merkel in einer Pressekonferenz die neu erarbeiteten Maßnahmen, um die Corona-Krise einzudämmen. Sie appelliert an die Bürger, ruft auf zu “Verzicht aus Gemeinsinn und Fürsorge füreinander”.
Manche (nicht alle) Journalisten stellen Fragen wie: “Es soll ja eine Auseinandersetzung gegeben haben zwischen den Ministerpräsidenten Söder und Laschet, liegen da die Nerven blank?” Es geht um Entscheidungen, Maßnahmen, Regelungen, wem helfen solche emotional aufgeladenen Mutmaßungen? Wenig später die Frage: “Nehmen Sie dem bayrischen Ministerpräsidenten seinen Ruf nach Verschärfung eigentlich übel?” – Was wäre mit möglichen Antworten auf solche Fragen eigentlich gewonnen?
Angesichts der wirklich drängenden Fragen, Themen und Entscheidungen hat eine zusätzliche und unnötige emotionale Aufladung in den Medien ebensowenig zu suchen wie Gaffer an einer Unfallstelle: Sie erschweren, verzögern und verkomplizieren die ohnehin schon schwierigen Abläufe nur. Bitte gehen Sie zur Seite. Machen Sie Platz, zum Beispiel für sachliche und konstruktive Berichterstattung.
Zum Glück kehrt Frau Merkel nonchalant gleich wieder zurück zu den Fakten – wie zum Beispiel zu der sehr unterschiedlichen Lage der einzelnen Bundesländer, je nach Grenznähe, Fallzahlen usw., die natürlich auch zu unterschiedlichen Positionen führt, um die dann gerungen werden muss.
Vereinfachung hilft nicht
Differenzierung, Präzisierung statt unnötiger Emotionalisierung: Hier sei der ndr-podcast von Christian Drosten wieder einmal empfohlen, zum Nachhören oder Nachlesen. Drostens ruhige, klare, verständliche und eben sehr differenzierte Art, die wissenschaftlichen Aspekte des Coronavirus zu erklären, ist einfach wohltuend. Immer wieder auch spannend und erhellend.
In einer Zeit, in der wir wohl alle immer wieder zu logischen Kurzschlüssen neigen, ist es eine gute Übung, auch als Laie eine offene, beobachtende und differenzierte Haltung einzunehmen – und den eigenen unsicheren Standpunkt immer wieder zu überprüfen, gegebenenfalls auch zu revidieren. Wie viele unserer Vermutungen und Einschätzungen sind längst schon über den Haufen geworfen worden. In Folge 14 zeigt Drosten ganz konkret solche Vereinfachungen auf, die auch problematisch werden können, wenn sie zu falschen Massnahmen führen – wenn wir zum Beispiel aufgrund verkürzter und/oder falsch verstandener Aussagen zwar keine Türklinken mehr anfassen, uns aber dann nicht an die Abstandsregeln halten.
Schuldzuweisungen helfen nicht
In der gleichen Folge (14) sagt Drosten: “Das ist jetzt nicht die Zeit von Vorwürfen und Schuldzuweisungen und Rechthaberei, sondern das ist die Zeit, sich zu orientieren. Man muss sich beraten – in Konsultationen zwischen Wissenschaftsdisziplinen und Politik. Und man lernt jeden Tag was dazu. Gerade in Deutschland, glaube ich, sind wir in der guten Situation, dass wir für so einen Konsultationsprozess auch die Zeit haben. Man sollte seine Zeit nicht verschwenden durch Fehlerzuweisungen. Das löst ja überhaupt nichts.“
Wie falsch wir mit Schuldzuweisungen liegen können, dazu nennt Drosten auch ein anschauliches Beispiel: “Wenn jetzt einige Leute im Nachhinein sagen, man hätte Karneval ausfallen lassen müssen – ich finde, das ist ein bisschen einfach gesagt. Es gab ja gar keine Fälle. Und natürlich ist das so, dass man, wenn man Fälle hat, wissen kann oder wissen sollte, dass es eine Dunkelziffer gibt von Fällen, die höher ist. Aber wenn wir null mit etwas multiplizieren, dann kommt da immer noch null raus. Und wir wissen gar nicht genau, ob jetzt nur das Verteilen von bis dahin unbekannten Infektionen zu diesen Ausbrüchen zwei Wochen nach Karneval geführt hat. Oder ob das die Karnevalsflucht und die Reisetätigkeit zu der Zeit war: Als ehemaliger Rheinländer weiß ich, dass sich die Bevölkerung dort in zwei Lager spaltet. Nämlich die Karnevalisten und die Karnevalsflüchter. Und die machen zu der Zeit gern einen kurzen Urlaub, gerade gerne auch in Italien und sonst wo in Südeuropa.
Also, das ist alles zu einfach. Und man muss doch wirklich sagen, was soll denn diese Rechthaberei im Nachhinein? Damit ist niemandem geholfen.
(…) jetzt müssen wir, glaube ich, einfach mal nach vorne denken und uns wirklich auch wieder rückbesinnen. Darauf, dass wir hier in einen richtigen und fairen Beratungsprozess einsteigen müssen.” So weit Christian Drosten.
Verharmlosung hilft nicht
Harald Lesch widerlegt in einem kurzen Video (9 min) die These, die sich derzeit in den sozialen Medien verbreitet: Hätten wir das Virus nicht über einen Test entdeckt, dann wäre er uns gar nicht aufgefallen – was dann zwangsläufig zu dem Schluss führt, Quarantänemaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen seien maßlos übertrieben.
Dass viele das Ausmaß der Pandemie zunächst unterschätzt haben, ist menschlich. Viele von uns (auch ich selbst) haben im Alltag Mühe, sich exponentielles Wachstum im Unterschied zu linearem Wachstum zu vergegenwärtigen. Davon erzählt die Reiskornparabel (auf youtube gibt es die Geschichte. Und Reiskornberge …)
Wenn jeden Tag ein oder zwei neu Infizierte dazukämen, wäre das gut zu verkraften. Wenn aber jeder Infizierte auch nur zwei weitere Menschen ansteckt, dann sind wir bei 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256 Infizierten … und so weiter. Würde sich die Zahl der Infizierten alle drei Tage verdoppeln, dann gäbe es bereits nach 42 Tagen 16.384 Infizierte.
Eigentlich sind die fake news zu Corona (die wir hier gar nicht alle aufführen wollen) längst durch schmerzhafte Realitäten widerlegt. So erläutert Lesch zum Beispiel, dass wir in Italien derzeit (März 2020) eine Steigerung der Sterberate von 20 % haben. In Bergamo sterben in diesen Tagen durchschnittlich doppelt so viele Menschen wie bisher. Lesch: “Die Annahme, dass wir diese Zahlen in der Statistik nicht bemerkt hätten, ist schon heute falsch.” So dass ein Festhalten an dieser Hypothese angesichts steigender Infektions- und Sterberaten immer abstruser wird.
Das dringendste Anliegen ist es für Lesch, in Deutschland das sogenannte Triagieren in der Versorgung der Patienten – das nun in anderen Ländern längst Realität ist –, möglichst zu verhindern: “Triagieren heißt Sortieren. Aussortieren.” Also Lazarett-ähnliche Zustände, in denen Ärzte und Pflegende angesichts begrenzter Mittel und Möglichkeiten entscheiden müssen, wem sie noch helfen. Und wen sie sterben lassen. Eine furchtbare, unaushaltbare Situation, für die Kranken ebenso wie für die Behandelnden.
Mit einer weiteren Verharmlosung räumt er auch noch auf: Die Beatmung, also das, was manche Laien sich als eine relativ harmlose Behandlung vorstellen, ist so Lesch, “eine medizinische Hochleistung, die nur von ExpertInnen durchgeführt werden kann. Der kleinste Fehler kann für den Patienten tödlich sein. Eine Beatmung ist eine traumatische Erfahrung. Das will man eigentlich nicht.”
Lesch beschäftigt sich auch mit der Frage, bei wie vielen neu hinzukommenden Patienten, die beatmet werden müssen, unser (vergleichbar gut funktionierendes ) Gesundheitssystem an seine Grenze kommt – eine Frage, die naturgemäß auch so viele Aspekte hat, dass Wissenschaftler nur versuchen können, dies vorsichtig abzuschätzen.
Klar ist jedoch: Ohne die einschränkenden Maßnahmen, denen wir uns im Moment alle unterziehen, wären wir nicht in Wochen, sondern bereits in wenigen Tagen an unserer Auslastungsgrenze – ebenso natürlich alle anderen Länder.
Zusammenfassend, so Lesch am Ende seines Beitrags: “Im Lichte dieser Zahlen und Prognosen erscheinen die Maßnahmen, die die Regierungen überall auf der Welt ergreifen, alles andere als hysterisch.” Und auch er endet mit einem Appell an die Journalisten, fake news, wenn sie schon verbreitet werden, dann zumindest nicht unkommentiert zu lassen.
Falsche Gewissheiten helfen nicht
Dass alle Prognosen, gesammelte Daten und auch die getroffenen Maßnahmen wichtig sind und dennoch keine Gewissheiten schaffen können, dazu führte risknet.de ein erhellendes Interview mit Katharina Schüller.
Die Statistikerin spricht über Datenethik, Datenkompetenz und die sogenannten “Data Literacy”: die jetzt so notwendige Fähigkeit, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden.
Sie erklärt, warum die derzeitigen Modellrechnungen nur falsch sein können, und die Schlussfolgerungen daraus trotzdem richtig sind: “Selbst das “best case” Szenario ist nicht gut genug, um sorglos zu sein. Es braucht ziemlich viel Datenkompetenz, um zu verstehen, dass man auch aus “falschen” Zahlen richtiges Handeln ableiten kann.”
Konkret bedeutet das im Moment: “Aktuell scheinen in Deutschland nur 3% aller Infektionen einen schweren Verlauf zu nehmen.” Diese Schätzung kann natürlich dazu führen, dass Laien die Gefahr unterschätzen und die Schutzmaßnahmen für überzogen halten, doch: “die Dominoeffekte sind nicht abzusehen, wenn sich schlagartig sehr viele Menschen anstecken, so dass das System als Ganzes kippen kann”. Das heißt, dann kann jede Erkrankung, die bislang gut und effizient behandelt werden konnte, zum Problem werden – wenn Ärzte und Pflegepersonal sich nicht mehr darum kümmern können.
Wichtig ist also, jetzt weder in Panik zu geraten noch vorschnell zu entwarnen.
“Der berühmte indische Statistiker C.R. Rao sagte einmal: Sicheres Wissen ist die Summe aus unsicherem Wissen und dem Wissen über das Ausmaß der Unsicherheit. Vorneweg: Auch wir Statistiker wissen nicht sicher, wie sich COVID-19 entwickeln wird.” Das kann im Bezug auf die dennoch notwendigen Maßnahmen zum Problem werden, so Schüller: “Je länger wir in dieser Phase der Unsicherheit sind, für umso wahrscheinlicher halte ich es, dass viele Menschen die Einschränkungen nicht mehr akzeptieren wollen. Weil sie weh tun und weil man “nichts” sieht und weil es ziemlich unangenehm ist, nicht zu wissen, ob das Ganze noch zwei Wochen anhält, zwei Monate oder gar bis zum Jahresende…“
Die Entwicklung der Infektionen, so Schüller, hängt im Wesentlichen von drei Annahmen ab: “Erstens, wie viele Menschen eine infizierte Person ansteckt. Zweitens, wie lange eine infizierte Person ansteckend ist. Drittens, ob Immunität eintritt.
Alle diese Annahmen sind unsicher. Statistik/Epidemiologie und virologische Expertise sind gleichermaßen vonnöten, um aus den Daten zumindest grobe Schätzungen zu erhalten und die Krankheitsverläufe zu beurteilen. (…)
Wie viele Fallzahlen also in den nächsten Tagen zu erwarten sind, das lässt sich nicht einmal annähernd verlässlich prognostizieren. Dazu sind die Spannbreiten, innerhalb derer die unbekannten Parameter liegen können, viel zu groß. Die Wachstumsrate, über deren absolute Höhe man nur spekulieren kann, spielt dabei eine erheblich größere Rolle als die beobachteten Fallzahlen zu einem bestimmten Zeitpunkt.“
Das bedeutet eben auch: “Ob die verschärften Maßnahmen wirken, können wir vermutlich erst in 1 bis 2 Wochen beurteilen. Insofern muss der Politik die Zeit gegeben werden, den Erfolg der Maßnahmen zu evaluieren.“
Was also hilft?
So schlicht es klingt: Wissen und Erfahrungen sammeln. Besonnenheit. Solidarität. Gegenseitige Fürsorge und (inzwischen scheint das auch die Mehrheit der Bevölkerung verstanden und akzeptiert zu haben) menschliche Nähe bei gleichzeitiger sozialer und körperlicher Distanz.
Denn, noch einmal die Statistik, trotz der gegebenen Prognose-Unsicherheit: Nicht nur die Ausbreitung des Virus ist (ohne Gegenmaßnahmen) exponentiell. Die Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19 durch eine Verringerung der sozialen Kontakte ist ebenfalls überproportional: 50% weniger Kontakte verringern in der Modellrechnung die Zahl der tatsächlich Infizierten nach 30 Tagen im Mittel um 96%, 75% weniger Kontakte sogar um 99,4%.
Nachtrag: Sehr anschauliche Grafiken zur exponentiellen Zunahme der Corona-Fälle in Südkorea und Italien – und was das für Deutschland bedeutet – finden sich auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung